Gepostet 18.04.2018, Bildung Schweiz
Online-Technologien ermöglichen das virtuelle Klassenzimmer, wo sich Dozenten und Studierende zum Unterricht treffen. Damit erhöhen sich sowohl die zeitliche als auch die räumliche Flexibilität.
Roger Odermatt* ist mit Aus- und Weiterbildungen vertraut. Der gelernte Kaufmann, inzwischen auf dem Weg zum Familienvater, plant bereits den nächsten Schritt und zieht in Betracht, eine Institution auszuwählen, welche Weiterbildung auch ausserhalb des Klassenzimmers anbieten kann. "Die beschwerlichen Reisen nach einem langen Arbeitstag möchte ich möglichst eliminieren", sagt der Banker, der überdies so gut mit modernen Kommunikationsmitteln vertraut ist, dass er durchaus offen für innovative Weiterbildungsprojekte ist.
Höchste Zeit also auch für Anbieter, mit Pilotprojekten das Potenzial von Virtual Classrooms auszutesten. Die FFHS tut dies beispielsweise mit dem Ziel, die zeitliche und räumliche Flexibilität noch zu steigern, zumal sich in den letzten Jahren hat sich die Art, wie man miteinander kommuniziert, grundlegend verändert hat. Dank der Verbreitung von Smartphones und neuer Technologien wie Skype, Facebook und WhatsApp können Informationen, Wissen und Dokumente in Echtzeit geteilt werden, selbst wenn sich der Gesprächspartner auf der anderen Seite des Globus befinden sollte. Diese Entwicklung spiegelt sich immer mehr auch im Bildungssektor wieder. Mittels so genannten «virtuellen Klassenzimmern» können Studierende heute über das Internet am Unterricht teilnehmen - ganz egal, wo sie sich gerade aufhalten. Die eingesetzten Technologien erlauben dabei weit mehr als eine reine Übertragung des Unterrichts: Durch den Einsatz von Lernplattformen, Webcams, VoIP oder gar Whiteboards werden sowohl eine Sicht-, Hör- und Sprechverbindung der Beteiligten als auch ein gemeinsames Bearbeiten von Dokumenten möglich. Studierende sparen somit nicht nur Kosten für die An- und Rückreise, sondern im Wesentlichen den damit verbundenen Zeitaufwand.
Die FFHS hat das virtuelle Klassenzimmer bereits in einigen Modulen des Bachelors Wirtschaftsinformatik / Digital Connected Society getestet. Die Klassen in Bern und Zürich interagieren in gemeinsamen Gruppenarbeiten und Unterrichtsgesprächen, indem die Dozentin live aus Regensdorf via Videokonferenzschaltung ins Berner Klassenzimmer geschaltet wird. Umgekehrt sind auch die Berner Studierenden im Regensdorfer Klassenzimmer präsent. Im kommenden Herbstsemester startet nun erstmals eine «virtuelle Klasse» des Master-Studienganges Business Administration, wobei diese Studierenden für einen Pilotversuch rein virtuell am Unterricht teilnehmen werden.
Erste Rückmeldungen von Studierenden zeigen, dass sich insbesondere Teilnehmende mit langen An- und Rückreisewegen auf das virtuelle Klassenzimmer freuen. "Sofern sich die Ergebnisse des Pilotprojektes positiv entwickeln, ist ein Ausbau des Angebotes auf alle vier Standorte der Fernfachhochschule Schweiz denkbar", sagt Dr. Oliver Kamin, Studiengangsleiter Wirtschaftsinformatik. Zuvor muss sich die Lösung allerdings unter realen Lehrbedingungen bewähren. Eine zentrale Herausforderung ist dabei die Schaffung einer authentischen Lernatmosphäre. Entsprechend kommt der Lehrperson eine besonders wichtige Rolle zu, denn sie muss nicht nur den Inhalt, sondern vor allem auch die Technik managen.
Aber keine Angst: Die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) wird den Unterricht nicht aus den Klassenzimmern verbannen. Im Gegenteil: Virtuelle Klassenzimmer werden Präsenzphasen nicht komplett ersetzen. Dies wird auch nicht angestrebt, denn bezüglich Schulung von Sozial- und Teamkomptenzen gibt es kein besseres Übungsfeld als den persönlichen Austausch - und dieser findet nun mal im Klassenzimmer statt. Auch methodische Kompetenzen, zum Beispiel die gute Kommunikation oder eine ausgereifte Präsenstation, kommen in der realen Welt immer noch deutlich besser an als im virtuellen Klassenzimmer. Dieser Meinung ist auch Oberstufenlehrer Markus Durrer. "Wichtig erscheint mir die Kombination von beiden Elementen", sagt der erfahrene Pädagoge, der seinen Schülerinnen und Schülern immer mal wieder Ausflüge in virtuelle Lernwelten gestattet, "denn das ist die Lebenswelt, in welcher sich junge Erwachsene und Erwachsene von heute aufhalten."
Die Studiengänge der FFHS sind auf Erwachsene ausgerichtet, die ein selbstbestimmtes und ortsunabhängiges Studium suchen. Ein strukturierter Lehrplan hilft, die gesteckten Ziele zu erreichen. "Blended Learning" kombiniert verschiedene Lernformen und ist ein Ansatz, der Berufstätige, Familienväter, Familienmütter oder Spitzensportler gleichermassen anspricht.
Der Anteil am Selbststudium beträgt 80 Prozent. Der Rest ist Präsenzunterricht, der in der Regel jeden zweiten Samstag stattfindet. Weil die Studierenden der FFHS Studium und Beruf kombinieren, gelingt ihnen der Transfer zwischen Theorie und Praxis besonders gut.
Momentan ist E-Learning in aller Munde. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die zeitliche und räumliche Flexibilität bei der beruflichen Weiterbildung eine immer wichtigere Rolle spielt. Digitale Technologien, wie sie im virtuellen Klassenzimmer eingesetzt werden, ermöglichen heutzutage synchrone und zunehmend interaktive Lernsituationen. Dieser Umstand fordert die Bildungsinstitutionen, denn herkömmliche Unterrichtsformen lassen sich nicht einfach 1:1 in die virtuelle Welt übertragen. Ziel muss sein, virtuelle Lernformen didaktisch sinnvoll mit Präsenzformen zu kombinieren, damit sowohl Bildungseinrichtungen als auch Lernende von gesteigerter Effizienz und Qualität der Bildungsangebote profitieren.
*Namen der Redaktion bekannt