Gepostet 15.09.2021, Gabriel Aeschbacher
Neue Geschäftsmodelle erfordern flexible Arbeitskräfte, welche mehr als «learning by doing» leisten. Experte Prof. Markus C. Krack erklärt, was das für die Zukunft konkret bedeutet.
Markus Krack, können Sie ein Beispiel für ein konkretes Geschäftsmodell à la Industrie 4.0 nennen?
Industrie 4.0 respektive die Digitalisierung der Produktionsprozesse ermöglicht eine individuelle Massenproduktion. Es findet eine «Enthierarchisierung» der Systeme statt, denn es gibt keine zentrale Steuerung mehr. Die einzelnen Systeme werden «intelligent» und treffen gewisse Entscheide selbstständig.
Ein klassisches Beispiel ist die Automobilproduktion, wo Kunden ihr individuelles Fahrzeug zusammenstellen können. Ohne Digitalisierung würde man die individuelle Massenproduktion nicht beherrschen.
Wo sehen Sie die Vorteile dieser neuen Geschäftsmodelle?
Der Hauptvorteil liegt darin, dass damit Güter mit der Losgrösse 1 in einer Massenfertigung hergestellt werden können. Das heisst, es kann von einer Sonderanfertigung ein einzelnes Exemplar produziert werden, ohne dass dabei die Kosten explodieren.
Ebenfalls können Produkte Funktionen übernehmen, die früher dem Bediener unterlagen. Ein einfaches Beispiel ist die automatische Bestellung von Verbrauchsmaterial, wie Toner beim Kopierer.
Ohne menschlichen Eingriff überwacht der Kopierer den Füllstand der Tonerpatronen und bestellt bei einer kritischen Menge automatisch eine neue Kartusche nach.
Und wo liegen die Risiken?
Diese liegen in der Beherrschbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheide und Handlungen der Systeme. Produktionsanlagen besitzen eine eigene Intelligenz und treffen auf Grundlage von Algorithmen Entscheide. Diese müssen für den Menschen beherrsch- und nachvollziehbar sein und in kritischen Situationen muss ein manueller Eingriff stets möglich sein.
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Welche Anforderungen kommen da auf Mitarbeitende zu?
Die Rolle des Mitarbeitenden wandelt sich vom Bediener zum Gestalter. Dies ist aber ein Prozess, der schon in den 1990er-Jahren durch den Einzug der Automation in der Produktion eingesetzt hat. Viele manuelle Tätigkeiten wurden durch Industrieroboter übernommen. Neu besitzen diese Anlagen nun unter Industrie 4.0 eine eigene Intelligenz und können somit eigene Entscheide treffen und kommunizieren mit anderen Anlagen, was «machine to machine»-Kommunikation (M2M) genannt wird.
Mitarbeitende müssen in Zukunft polyvalent sein.
Das heisst, dass Polymechanikerinnen und Polymechaniker nicht nur ein ausgeprägtes handwerkliches Geschick besitzen müssen, sondern zusätzlich auch ein ausgeprägtes Prozessdenken - und neben den mechanischen Kenntnissen auch Wissen im Bereich der Informationstechnologie und Elektrotechnik.
Weshalb sollte man gerade jetzt Zeit und Geld in eine Weiterbildung für das «Produkt Industrie 4.0» investieren?
Die Digitalisierung ist Stand der Technik. Um Digitalisierungsprojekte durchführen zu können, braucht es Wissen über Vorgehensmodelle, neue Standards – wie zum Beispiel das Referenz Architekturmodell Industrie 4.0 (RAMI 4.0) – sowie ein vertieftes Wissen über neue Technologien und Anwendungen.
Dieses sehr anspruchsvolle Wissen kann man sich nicht mittels «learning by doing» aneignen.
Die Hochschulen haben auf dieses Bedürfnis frühzeitig reagiert.
So zum Beispiel bietet die Hochschule für Technik der Fachhochschule Nordwestschweiz den speziellen CAS Digital Industry seit einigen Jahren an.
In diesem werden die Teilnehmende befähigt, Industrie 4.0- Projekte zu initialisieren und durchzuführen. Lebenslanges Lernen ist ein «Muss», um in der digitalen Berufswelt zu überleben.