Gepostet 11.07.2016, Gabriel Aeschbacher
Karl der Grosse (748 bis 814), König und späterer Kaiser, darf mit Fug und Recht als Bildungsstratege des fränkischen Reichs bezeichnet werden. Sein Verdienst ist, die Werte des Lernens im ganzen Volk verankert zu haben.
Karl der Grosse wird im Buch von Albert Stähli („Die Franken – Europas Bildungsstrategen der ersten Stunde“) nicht umsonst als grosser Bildungsstratege gerühmt: Er schafft es nämlich, die Bildungsreform im fränkischen Reich zu verankern. Frühe Begegnungen mit der italienischen Kultur öffnen Karl dem Grossen die Augen. Der wissensbegierige Herrscher erkennt im Süden den ungeheuren Nachholbedarf seines eigenen Reiches. Bildung kommt nicht von allein, sagt er sich – und macht sich daran, sie aufzubauen, für sie einen fruchtbaren Nährboden zu schaffen. Dafür braucht Karl der Grosse Zeit. Und er braucht kluge Köpfe mit Ausdauer. Sie tragen das Wissen der Zeit in ihren Köpfen. Und den unbändigen Willen, dieses Wissen weiterzugeben.
Karl – ganz Bildungsstratege – holt sich Gelehrte aus den angrenzenden Ländereien an den Hof. Und er kultiviert eine offene Gesprächskultur, was zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit ist. Zum wichtigsten Ratgeber von Karl dem Grossen mutiert der Brite Alkuin. Er wird zum wichtigsten Ratgeber in Staats- und Kirchenfragen. Sein Verdienst ist die Einführung einer einheitlichen und gut lesbaren Schrift. Diese wird in wertvolle Bücher gepackt. Ein unvorstellbar hoher Aufwand, denn für das Pergament eines einzigen Buchs muss oft eine ganze Herde von Schafen ihre Haut lassen. Alkuin und seine gelehrigen Schüler lassen eifrig Texte abschreiben – und die neue Schreibart somit zum Standard werden. Werke aus England, Spanien und Italien werden dazugekauft, so dass in den Klöstern bald ansehnliche Bibliotheken heranwachsen.
Als Sprache hat sich Latein etabliert – zumindest in der gebildeten Welt. Die gesprochene Alltagssprache hingegen entwickelt sich von der Schriftsprache fort, so dass neue und lebendige Volkssprachen entstehen. Bemerkenswert ist heute, wie Karl der Grosse die Toleranz gegenüber fremdem Denken fördert: Er lässt gar Schriften von griechischen Philosophen aufnehmen. Zudem zieht er keine exakte Linie zwischen Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. Davon profitiert das fränkische Bildungswesen. Ein bunter Mix zwischen griechischen und römischen Elementen entsteht, angereichert mit der christlichen Morallehre. Die Gewinn dabei? Ein eigener, zentraleuropäischer Denkstil! Rhetorik, Dialektik und Logik werden zu festen Bestandteilen, die auch in der Volkssprache Einzug hält.
Karl der Grosse will sein Reich mit umfassender, christlicher Bildung versorgen und lässt dafür Schulen entstehen. Ein Quantensprung im Bildungssystem Mitteleuropas, auch wenn der arme Teil der Bevölkerung wohl eher nicht in den Genuss von Unterricht kommt. Vor dem Schulbesuch steht nämlich oft die Hilfe auf Hof und Feld im Vordergrund. Aber Karl der Grosse lässt sich durch nichts und niemanden von seinem Weg abbringen: Er führt untere und obere Stände zusammen, sorgt für Stipendien, Kleidung, Unterkunft und Verpflegung. Reisen durch das Land führen ihn zu einfachen Familien mit „intelligenten“ Kindern, denen er den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen möchte. Die Elite des Landes lässt Karl der Grosse an der Hofschule in Aachen büffeln. Und dort gehören Mathematik, Geometrie, Arithmetik sowie Astronomie zu den Eckpfeilern – die fast vergessenen Leistungen der Römer auf diesem Gebiet werden quasi neu belebt. Dann und wann werden allerdings auch die Franken ins Staunen versetzt. 807 etwa, als eine Wasseruhr aus Bagdad für ungläubiges Staunen sorgt.
Astronomie und Kalenderwissenschaft sind eine Herzensangelegenheit von Karl dem Grossen. Damit lassen sich Ereignisse wie zum Beispiel die Sonnenfinsternis berechnen. Karl der Grosse gilt als leidenschaftlicher Beobachter der Gestirne. Und wenn er mit einem Phänomen nicht klar kommt, lässt er es sich solange erklären, bis er den Durchblick hat. Karl, der nach eigenem Empfinden selber zu wenig Bildung bekommen hat, treibt diese mit aller Kraft voran. Er schafft es, innerhalb von wenigen Jahrzehnten, ein formales Erziehungssystem aus der fränkischen „Bauernerde“ zu stampfen, was ihn zur prägenden Figur macht. Und diese Figur strahlt bis in die heutige Zeit.
Geht es nach Buchautor Albert Stähli, ist das Vermächtnis von Karl dem Grossen vor allem dessen Bildungspolitik. Diese kreist nicht nur um den Hof und die oberste Elite. Nein, sie erfasst auch weite Teile des Volkes, für welches Karl vor allem eine Sache will: Die Werte des Lernens sollen, ja müssen im ganzen Volk fix verankert werden – und zwar lebenslang!