Gepostet 07.10.2016, Martina Tresch
Wenn die Fetzen fliegen, ist er derjenige, der mittendrin steht und nach einer Lösung sucht. Iwan Rickenbacher ist Mediator und erklärt, wie Einfühlungsvermögen und eine gute Recherche eine Mediation zum Erfolg führen.
Es war ein Streit, der schweizweit für Schlagzeilen sorgte. Zum einen war da die Urner Regierung, die im 700-Seelen-Dorf Seelisberg eine Asylunterkunft mit 60 Flüchtlingen eröffnen wollte. Zum andern stand der Gemeinderat Seelisberg diesem Vorhaben machtlos gegenüber. Und dann war da noch die Bevölkerung: Es formierte sich eine IG, die 1000 Unterschriften gegen die Pläne des Kantons sammelte. Eine Informationsveranstaltung vonseiten des Kantons lief schliesslich vollends aus dem Ruder, die Diskussion wurde emotional, Leute wurden beschimpft, Einheimische stürmten aus dem Saal. Kanton, Gemeinde, IG. Drei verhärtete Fronten. Und einer stellte sich dazwischen: Iwan Rickenbacher. Mediator. Er wurde dazu auserkoren, den Konflikt zu lösen. Heute sagt der Mediationsexperte: „Hätte ich nicht so viel Erfahrung in dem, was ich tue, hätte ich diesen Job nicht angenommen.“
Vor rund zehn Jahren war Iwan Rickenbacher zum ersten Mal als Mediator im Einsatz. Eine eigentliche Mediationsausbildung hat er nicht gemacht. Ursprünglich hatte der Schwyzer den Lehrerberuf gewählt, war Direktor am Lehrerseminar in Schwyz, Generalsekretär der CVP Schweiz, und hat seit 1992 sein eigenes Kommunikationsbüro. „In all den Jahren gabs immer wieder schwierige Situationen, die nach einer Lösung verlangten“, erzählt Iwan Rickenbacher. So übernahm er mehr und mehr die Rolle des Vermittlers. Und das, obwohl er Streit eigentlich gar nicht mag. „Ich bin jemand, der sich ein Ziel setzt und dieses zu erfüllen versucht. Das hilft bei der Suche nach einer Lösung.“ So hat sich der Mediator auch im Fall Seelisberg insgeheim ein Ziel gesetzt. „Nicht, dass ich mich darauf versteift habe oder mein Ziel durchdrücken wollte.“ Doch es sei wichtig, bei einer Mediation eine Vorstellung davon zu haben, welche Lösung ideal, machbar oder schlecht wäre.
„Man muss die Menschen mögen, mit denen man am Tisch sitzt.“
Gefunden wird die angestrebte Lösung idealerweise an einer Aussprache. Eine gute Vorbereitung ist dabei entscheidend: „Ich muss die Leute kennen, die an diesem Tisch sitzen.“ Und so gräbt Iwan Rickenbacher. Er sucht nach Beziehungen zwischen den Konfliktparteien. Wer hatte mit wem schon zu tun? Gabs Streit? Wer hat welches Interesse innerhalb des Konflikts? „Ich bin eigentlich ein Rechercheur. Ich muss die Leute und ihre guten oder schlechten Beziehungen untereinander kennen, die Geschichte von jedem einzelnen erfahren“, betont der 73-Jährige. Nebst dem Recherchieren sucht der Innerschweizer bei einer Mediation das Gespräch. Auf beiden Seiten. In offiziellen Sitzungen, in Einzelgesprächen, in E-Mails. Bis er genug Stoff hat, um die Mediation zu leiten.
Wenn dann der Zeitpunkt gekommen ist, sich die Streithähne nach Wochen zum ersten Mal gegenüberstehen, tritt der Mediator in den Mittelpunkt des Geschehens. „Ich leite das Gespräch, sorge dafür, dass eine Auslegeordnung gemacht wird und beide Seiten ihre Wünsche offenlegen können“, erklärt der Mediationsexperte. Das Reden ist das eine. Das Spüren der Menschen im Raum eine ganz andere. Iwan Rickenbacher beobachtet die Konfliktparteien, sieht, wenn jemandem der Kragen bald platzt, wenn die Emotionen hochkochen. Dann muss er schnell reagieren. Entweder spricht der Mediator die betreffende Person direkt an. Oder er begegnet einem unzufriedenen Gesprächspartner mit Verständnis. Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit: „Manchmal brauchts etwas Humor in verfahrenen Situationen.“ Der Mediator fängt eine gemeine Bemerkung auf, überspitzt sie und macht einen Scherz daraus, sodass alle lachen. Um solche Situationen zu spüren, brauchts vor allem eins: „Man muss die Menschen mögen, mit denen man am Tisch sitzt.“
Gute Menschenkenntnisse und ein feines Gespür. Diese beiden Eigenschaften sind, nebst den Fähigkeiten in Gesprächsführung und Verhandlungstechniken enorm wichtig für einen Mediator. „Und man muss bereit sein, Lösungen anzustreben, nicht aufzudrängen.“ Das wichtigste für eine erfolgreiche Mediation sei aber vor allem die Erfahrung. „Es ist wichtig, selbst schon einige knifflige Situationen erlebt zu haben.“ Einem 20-Jährigen würde Iwan Rickenbacher bewusst davon abraten, Mediationen zu leiten. Nicht etwa, weil eine jüngere Person vielleicht weniger ernst genommen würde. „Es kann gut sein, dass ein junger Mediator eine Konkurrenzsituation verursacht, nach dem Motto: Er könnte eigene Interessen haben oder sogar jemandem den Job abspenstig machen.“ Das Resultat wäre Misstrauen: Gift in der Suche nach einer Einigung. Die Mediationsausbildung an einer Fachhochschule oder Universität empfiehlt Iwan Rickenbacher unbedingt. „Es ist wichtig, in der Schule alle Grundlagen zu lernen. Die Erfahrung kommt dann mit der Zeit.“
Die Zahl der Konflikte, in denen Iwan Rickenbacher schon vermitteln konnte, ist gross. Die meisten Fälle wurden jedoch intern gelöst, beispielsweise beim Bund oder innerhalb einer Regierung. Dass ein Fall derart in der Öffentlichkeit steht wie in Seelisberg ist die Ausnahme. Deshalb hat sich der 73-Jährige genau überlegt, ob er diese Mediation übernehmen möchte. „Wenn eine Situation aussichtslos ist, nehme ich den Fall nicht an.“ In Seelisberg sah der Schlichter Hoffnung – obschon während der gesamten Aussprache nie klar war, auf welche Seite das Gespräch kippen würde. Wäre die Aussprache zu emotional geworden, hätte der Mediator sie abgebrochen. Doch nötig war lediglich ein Time-out, bei dem sich die Konfliktparteien zurückziehen und vorgeschlagene Lösungen untereinander diskutieren konnten. Am Ende wurde eine Lösung gefunden. Die Unterkunft in Seelisberg ist vom Tisch, zuerst macht die Regierung eine Gesamtschau für das Asylwesen. „Ich bin froh, dass die Parteien einen Schritt aufeinander zugegangen sind.“ Ein voller Erfolg also für den Schlichter. So nennen mag er sich aber nicht. „Ich sehe mich eher als Coach oder als Lösungsfinder.“