Gepostet 25.02.2022, Gabriel Aeschbacher
Ein Lehrabbruch ist noch kein Beinbruch. Wichtig ist, stets eine Alternative parat zu haben.
Die Fakten vom Bundesamt für Statistik (BFS) lügen nicht: Aktuelle Zahlen vom Oktober 2021 belegen, dass gut ein Viertel der Lehrverträge vorzeitig aufgelöst wird. Die gute Nachricht: Vier von fünf Lehrabbrechern steigen wieder ein. Besonders betroffen von Lehrabbrüchen ist das Coiffeurgewerbe, was für Eva Künzli von Nouvelle Coiffure in Luzern nicht unbedingt eine Überraschung ist. «Unser Job wird total unterschätzt, denn viele wissen nicht, wie viel Fleiss und Aufwand im Hintergrund gefragt sind», sagt die erfahrene Lehrmeisterin, die seit über 40 Jahren im Business tätig ist und bereits unzählige Auszubildende zum erfolgreichen Abschluss geführt hat. «Und es braucht Motivation und Leidenschaft, um sich für eine hartumkämpfte Branche jeden Tag aufs Neue zu begeistern.
Ein Sekundarlehrer, welcher seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sieht einen weiteren Grund für die hohe Abbruchquote bei Lernenden beim hohen Druck, der auf den Schultern der Jugendlichen laste. Die Fälle, bereits schon am Ende der achten Klasse möglichst eine Anschlusslösung präsentieren zu können, nähmen von Jahr zu Jahr zu.
Intensives Schnuppern vereinfacht die richtige Berufswahl
Dass Lehrverträge zum Teil bereits in den Sommerferien vor Beginn der neunten Klasse unterschrieben würden, komme vor, sagt Berufswahl- und Lerncoach Elio Gallo, der zudem auch als Berufsschullehrer arbeitet und weiss, wie Lehrabbrüche möglichst vermieden werden können. «Vor der Lehre gelingt das am besten nur durch eine intensive, aktive und vor allem reflektierte Auseinandersetzung mit der Berufswahl. Das Schnuppern ist dabei zentral.
Berufswahl heisst aber auch Betriebswahl, denn die richtige Wahl des Betriebs ist ein wesentlicher Faktor bei der Verminderung von Lehrabbrüchen». Für wen die Berufslehre nach der neunten Klassen zu früh komme, solle sich bewusst für eine Zwischenlösung entscheiden und die Berufswahl überdenken, mahnt Elio Gallo. Eine Berufslehre als Verlegenheit- oder Notlösung zu beginnen, bringe niemandem etwas, ergänzt er.
Eva Künzli weiss, wo man in ihrer Branche den Hebel ansetzen sollte: «Einerseits müsste man die angehenden Lernenden noch besser darüber aufklären, wie der Berufsalltag ausschaut. Andererseits sind natürlich auch die Arbeitsbedingungen – Stichwort Samstagsarbeit – und die Lohnpolitik immer wieder Gesprächsthemen», nennt die Luzerner Coiffeuse zwei Baustellen ihrer Branche.
Was die Statistik des BFS auch verrät: Am meisten Lehren werden im Tessin und am Genfersee abgebrochen, am wenigsten in der Ostschweiz. Und auch der Migrationsstatus spielt eine Rolle, wonach Schweizer Lernende weniger oft den Bettel hinschmeissen als in der Schweiz geborene Ausländer oder im Ausland geborene Eingewanderte.
Bei Abbruch nach vorne blicken
Doch was tun, wenn ein Abbruch wirklich nicht mehr zu vermeiden ist? Elio Gallo sieht in der Auflösung eines Lehrvertrages auch Chancen. «Dabei ist wichtig, nach vorne zu blicken und die Situation neu zu beurteilen. Das BIZ und das Berufsbildungsamt helfen hier weiter».