Gepostet 15.09.2016, Ronny Arnold
Viele träumen von einer Karriere im Spitzensport, nur wenige packen ihre Chance. Doch was ist nach der Karriere? Was ist bei einer schweren Verletzung? Wir porträtieren Lukas Scheiber (ehemals EV Zug) und Silvan Sidler (FC Luzern) und zeigen, wie sich Spitzensport und Lehre verbinden lassen.
Wir blicken ein paar Jahre zurück, als Lukas Scheiber noch mitten in der Ausbildung stand: Das EVZ-Talent hat gerade sein Training in der Eishockeyhalle Herti beendet und in gut einer Stunde wird er wieder im Büro der Zuger Verkehrsbetriebe erwartet, bevor es dann am Abend erneut ins Training geht. So in etwa sah ein normaler Wochentag für den damaligen Nachwuchsathlet aus. Das Programm war dicht gepackt, um sowohl Grundausbildung, wie auch Eishockey unter einen Hut zu bringen. Für den heute 21-Jährigen aus Flüelen im Kanton Uri war es dieser Mehraufwand wert, wie er nun ein paar Jahre später erzählt: „Eine Verletzung im Sport ist sehr schnell passiert, im Eishockey sowieso. Mir war es von Anfang an wichtig, ein zweites Standbein aufzubauen. So bin ich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Die Gefahr nach einer Verletzung den Anschluss zu verpassen ist gross und wenn du eine Ausbildung hast, stehst du dann nicht ohne Perspektiven da.“
„Manchmal, wenn du unter der Woche erst spät von einer Auswärtspartie heimkehrst, bist du froh, wenn sich dein Betrieb kulant zeigt und dich erst am Nachmittag wieder zum Arbeiten aufbietet.“ Denn, wenn andere Spieler die Fahrten zu den Spielen und zurück zur Erholung geniessen konnten, musste Lukas Scheiber jeweils die Zeit fürs Lernen nutzen, um den Anschluss nicht zu verpassen. „Das alles war nur dank der grossen Unterstützung meiner Familie möglich: Der Vater der an die Spiele kommt und jeweils wartete, damit du schnell wieder nach Hause kannst, die Mutter die jeweils zu Hause alles vorbereitete. Ich bin sehr dankbar über diese grosse Unterstützung von damals.“ Der gewählte Weg war für ihn aber definitiv richtig: „Es war eine spannende, intensive und lehrreiche Zeit. Ich profitiere noch heute viel, zum Beispiel in Stresssituationen. Und nicht zuletzt sind auch langjährige Freundschaften entstanden.“
„Ich profitiere heute noch viel, zum Beispiel in Stresssituationen.“
Noch etwas jünger ist Silvan Sidler. Der 18-jährige aus Ottenbach im Kanton Zürich ist seit dieser Saison im Kader der ersten Mannschaft des FC Luzern in der Super League. Zuvor war er zuerst beim SC Steinhausen und danach im Team Zugerland aktiv. Vor wenigen Wochen hat er das dritte Lehrjahr als Kaufmann gestartet. Wie Scheiber, will auch Silvan Sidler nicht nur auf die Karte Fussball setzen. Eine Grundausbildung ist ihm wichtig: „Der Fussball ist heutzutage ein schnelllebiges Business, man weiss nie was noch kommt und mit einer Ausbildung habe ich eine gewisse Sicherheit“. Für den Zürcher bedeutet Profisport und der gleichzeitige Abschluss einer Lehre ein grosser Aufwand. Bis zu 6 Trainings unter der Woche, ein Spiel am Wochenende, ein Tag Schule und die restliche Zeit Arbeit bei der kantonalen Verwaltung in Zug stehen auf seinem Wochenprogramm. Unterstützung erhält er beim FC Luzern durch den Talentmanager Michel Renggli: „Er übernimmt die Koordination mit VINTO, dem FCL und meinem Arbeitgeber“, so Sidler. Support erhält das Nachwuchstalent aber auch von seinem Arbeitgeber, welcher sich oftmals kulant bei kurzfristigen Terminen zeigt und seiner Familie: „Dieser Support ist mir besonders wichtig. Meine Familie gibt mir Halt, wenn es mal nicht so gut läuft und fiebert fast immer bei den Spielen vor Ort mit.“
„Mit einer Ausbildung habe ich eine gewisse Sicherheit.“
Damit es den jungen Nachwuchstalenten gelingt, trotz zeitintensivem Spitzensport eine erfolgreiche Ausbildung zu machen, werden sie vom Verein VINTO in Zug unterstützt. Der Trägerverein wurde mit der Unterstützung der damaligen „Interessengruppe Sport- und Gesundheitsförderung im Kanton Zug“ (IGSGZG) 2000 ins Leben gerufen, mit dem Ziel Nachwuchsathleten die Chance zu geben, neben ihrer Förderung im Spitzensport zusätzlich noch eine Lehre zu absolvieren. Seit 2002 wird am Kaufmännischen Bildungszentrum Zug (KBZ-Zug) die Ausbildung zum „Kauffrau / Kaufmann EFZ“ in separat geführten Sportklassen angeboten. Auch steht die Möglichkeit offen, andere geeignete Berufslehren ebenfalls sportoptimiert zu absolvieren. Seit 5 Jahren werden zum Beispiel auch ausgesuchte gewerblich-industrielle Lehren sporttauglich koordiniert (z.B. Automobilfachmann EFZ).
Die Grundausbildung dauert statt drei Jahren vier Jahre, damit es gelingt Sport und Schule miteinander optimal zu koordinieren. Die Lehrbetriebe nehmen bei der Wochenarbeitszeit Rücksicht auf die Trainingseinheiten und stellen für Wettkämpfe und Trainingslager spezielle Sportkontingente zur Verfügung. Auch die Unterrichtsmethoden werden angepasst und optimiert. So gibt es für die jungen Athleten E-Learning und als Unterstützung Lern-Coaches. Praxisbezogen zum Spitzensport wird in der Schule auch in Sporttheorie ausgebildet, wo Themen wie zum Beispiel Sporternährung, Sportverletzungen und auch Medienarbeit vermittelt werden. Seit 2002 konnten so 110 Athletinnen und Athleten ihre VINTO-Lehre erfolgreich mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis beenden. Die Abschlussquote liegt dabei seit Beginn bei 100%.
Benno Sidler (übrigens nicht verwandt mit dem porträtierten Fussballspieler), ist seit der Geburtsstunde von VINTO der Geschäftsführer und betreut junge Nachwuchstalente wie Scheiber oder Sidler eng in ihrer Ausbildung. Auf die Frage, ob Athleten, welche neben ihrer Karriere im Spitzensport auch noch auf eine Lehre setzen nicht Nachteile haben, meint er: „Im Gegenteil, wer es heute bei den hohen Anforderungen der Berufsbildung und des Leistungssportes schafft, beides erfolgreich zu meistern, hat im späteren Leben einen grossen Wettbewerbsvorteil.“ Damit junge Spitzensportlerinnen und Spitzensportler überhaupt diese Ausbildung machen können, braucht es Betriebe, welche diesen Mehraufwand auf sich nehmen. „Zurzeit sind wir in der komfortablen Lage, auf genügend Ausbildungsplätze bzw. Ausbildungspartner zählen zu dürfen. Die Voraussetzungen um eine Sportler-Lehre machen zu können, sind sehr hoch. Die Nachfrage ist deshalb begrenzt. Neue und interessierte Ausbildungspartner sind jedoch jederzeit herzlich willkommen.“, so Sidler. Der Verein hat auch auf die gesteigerten Bedürfnisse im Nachwuchsleistungssport reagiert und 2014 zusätzlich eine eigene Ausbildungsfirma gegründet (VINTOServices). Dieses Modell führt nach zwei Jahren zu einem Zwischenabschluss (Eidgenössisches Berufsattest EBA), bevor nach zwei weiteren Jahren das EFZ Kaufmann erworben wird.
„Wer Berufsbildung und Leistungssport gemeinsam meistert, hat im späteren Leben einen grossen Wettebwerbsvorteil.“
2016 feiert das Projekt sein 15-jähriges Bestehen und darf auf eine tolle Bilanz zurückblicken: Neben bekannten Eishockeypielern wie Sandro Zurkirchen (Ambri), Dario Bürgler (Lugano), Janick Steinmann (Lugano) hat Yannick Brauchli (Segeln) an den Olympischen Spielen 2012 in London und 2016 in Rio teilgenommen. Fabio Wyss (Kanu) schaffte 2016 ebenfalls die Qualifikation für Rio und konnte erstmals an Sommerspielen mitmachen. Mountainbikerin Andrea Waldis gewann 2012 den Junioren-Weltmeistertitel in Saalfelden (A) und fährt als Mountainbike-Profi im Weltcup mit.
Über 180 Medaillen und Podestplätze an nationalen und internationalen Wettkämpfen wurden bisher von den Athletinnen und -Athleten erreicht. 32 Ausbildungspartner aus der Zuger und Zentralschweizer Wirtschaft bieten Jugendlichen aus 26 verschiedenen Sportarten und aus 55 verschiedenen Vereinen eine sportoptimierte Ausbildung an. Im diesjährigen Jubiläumsjahr besuchen 45 Jugendliche das VINTO-Ausbildungsangebot.
Für den Eishockeyspieler ist es nach der Ausbildung sportlich nicht nur bergauf gegangen. Nach der erfolgreich abgeschlossenen Lehre wechselte er vom EV Zug, wo er mit dem Nachwuchs eine Silber- und Bronzemedaille an den Schweizermeisterschaften gewinnen konnte, zum SC Rapperswil-Jona Lakers. Dort kam er zu Einsätzen bei den Elite Junioren A. Seit 2015 ist er zurück bei seinem Stammklub EHC Seewen. Dem Team will er helfen, in die neue „Super 1. Liga“ aufzusteigen. Und da er neben dem Sport jetzt auf eine Grundausbildung zurückgreifen kann, ist er gleichzeitig voll im Arbeitsleben engagiert. Seit 2015 ist er Betriebsdisponent bei der Rottal Auto AG in Ruswil. Da während dem Spitzensport die Zeit für Weiterbildungen fehlte, will er dies nun nachholen. Im Oktober startet er die Weiterbildung zum Betriebswirtschafter HF in Luzern. Trotz 100% Job und der anstehenden Weiterbildung, will er in Seewen weiter voll Hockey spielen. Doch für Scheiber ist auch klar: „Irgendwo muss ich dann wohl etwas zurückfahren, und diesmal wird es der Sport sein.“
Mit regelmässigen Einsätzen in der U21, einem festen Platz im Profikader und ersten Einsätzen bei Pflichstspielen beim Innerschweizer Aushängeschild auf höchster Ebene steht Silvan Sidler kurz vor dem Durchbruch als Fussballprofi beim FC Luzern. Er selber, der aus Vorbild Jérôme Boateng vom FC Bayern München hat und ebenfalls langfristig die Bundesliga als Ziel sieht, will nun im nächsten Schritt regelmässige Einsätze in der Super League erreichen. Auf die Frage, wie es bei den Berufsfussballern im Team ankommt, dass er neben dem Sport noch eine Lehre macht, meint der gelernte Verteidiger: „Ein paar Mitspieler haben sich auch schon erkundigt, was ich genau mache und wo. Wie es aber ankommt, weiss ich ehrlich gesagt nicht.“ Mit Trainings, Spielen, der Arbeit und der Ausbildung ist der Terminplan vom FCL-Talent randvoll. Viel Zeit für andere Aktivitäten und Freunde bleibt da nicht mehr. „Aber ich geniesse dafür die freien Momente und die Zeit mit Freunden umso mehr“, so Sidler, welcher seine Lehre im Sommer 2018 abschliessen wird.
„Ich geniesse die freien Momente umso mehr.“
Dank VINTO gelingt es potentiellen Stars neben ihrer sportlichen Karriere auch eine Grundausbildung zu machen. Diese Investition in die Ausbildung macht sich spätestens dann bezahlt, wenn die eigene Karriere verletzungs- oder altersbedingt endet. Der grosse Mehraufwand und die Abstriche während den bis zu vier Jahren Lehrzeit bedeuten eine intensive Belastung für die jungen Athletinnen und Athleten. Die Absicherung dank eines erfolgreichen Abschlusses ist dies aber allemal wert. Davon sind alle unsere Protagonisten in diesem Text mehr als überzeugt. Auch wenn im Sport oft nur Tore, Punkte und Sekunden zählen, steht hinter allen Nachwuchsportlern eine persönliche Lebensgeschichte. Mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis landen die Lernenden zumindest neben dem Platz, Eis oder Court bereits früh einen wichtigen Sieg für ihre eigene Zukunft.