Gepostet 03.12.2015, Gabriel Aeschbacher
Obwohl an Hochschulen fachlich gut ausgebildet, fühlen sich viele Lehrkräfte überfordert. Grund dafür sind vor allem Aufgaben ausserhalb des Unterrichts, wie zum Beispiel der Umgang mit schwierigen Eltern.
Es ist eine Studie, welche die Pädagogische Hochschule Zürich (PHZH) in Auftrag gegeben hat. Und eine, die aufhorchen lässt, denn frisch von der PH kommende Lehrkräfte fühlen sich für den Berufseinstieg vom Studium her zwar fachlich gut vorbereitet, nicht immer jedoch für die ausserschulischen Aufgaben. „Da hilft ein Bachelor-Abschluss oder ein Master-Titel als Ausbildung nicht weiter“, erläutert etwa Markus*, der nun im dritten Berufsjahr als Sekundarlehrer steht und dabei schon allerhand erlebt hat. „Der Umgang mit schwierigen Schülern ist das eine, die fordernden Eltern sind das andere.“ Markus war froh, bei Übertrittsgesprächen zum Beispiel auf die Hilfe eines Kollegen zählen zu dürfen, der – mit wesentlich mehr Berufserfahrung ausgestattet – hier und dort vermittelnd wirkte. Oder, dort wo nötig, auch ein Machtwort sprechen konnte, um Eltern in deren Ausführungen zu bremsen. Dass diese für ihr Kind und dessen Karriere das Beste wollten, sei ihm klar. Wenig einleuchtend indes ist für ihn, mit wie wenig Anstand und Respekt Eltern ihm zum Teil begegnet sind.
Blättert man im aktuellen Weiterbildungsangebot der PH Zürich, lässt sich momentan nur ein Kurs finden, welcher schwierige Situationen mit Eltern thematisiert. Ob hier zwei Einheiten à knapp drei Stunden Weiterbildung helfen, um die manchmal eskalierenden Situationen in den Griff zu bekommen? Die in der NZZ vom 3. Oktober 2015 angesprochene Studie kommt zum Schluss, dass ein Teil der veröffentlichten Studienresultate auch als Kritik an den Pädagogischen Hochschulen verstanden werden könnte. Diese haben denn auch reagiert und ihren Fokus im Studium zum Teil noch stärker auf die Unterrichtspraxis gelegt. Diese macht zum Beispiel an der PH Zürich einen Viertel der Lehrer-Ausbildung aus. Andere Institute kommen auf einen ähnlich hohen Anteil – und grundsätzlich sei dies auch der richtige Weg, sagt Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbandes.
Studierende an den Hochschulen indessen bemängeln – zumindest hinter vorgehaltener Hand – immer auch mal wieder den fehlenden oder schon lange zurückliegenden Praxisbezug der Dozierenden. Auch Markus haut in dieselbe Kerbe. „Die unbestritten hohe fachliche Kompetenz von gewissen Dozierenden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele bereits schon ziemlich lange von der Berufspraxis entfernt sind. Da ist es natürlich schwierig, sich auf den Ernstfall im Klassenzimmer vorzubereiten.“ Klar ist, dass man als Lehrkraft heute an vielen Fronten tätig ist: Man ist nicht nur Experte in Deutsch, Englisch, Französisch oder Mathematik. Nein, Lehrkräfte sind heute – ob gewollt oder ungewollt – auch immer mal wieder Psychologen, die längst nicht mehr nur für die Wissensvermittlung zuständig sind. Sie seien punkto Ausbildung, sinniert Simon, eigentlich in vielen Fachbereichen mit einem Bachelor respektive Master ausgestattet.
Klar ist, dass Lehrkräfte von heute auf morgen ins kalte Wasser geworfen werden. „Man kommt mit vielen guten Ideen aus dem Studium und muss dann ernüchtert feststellen, dass sich im Schulzimmer vieles nicht oder zumindest nicht auf Anhieb umsetzen lässt“, sagt mit Simon* eine Lehrkraft, die schon seit über zehn Jahren als Klassenlehrer unterrichtet. Studierende seien sich im Anschluss an ihre Ausbildung oft nicht ganz bewusst, was sie im Alltag konkret erwarten würde. „Man trägt von einem Tag auf den anderen die volle Verantwortung für eine Klasse“, erläutert er – und schiebt nach, dass man diese nicht halbherzig wahrnehmen könne. „Entweder man übernimmt sie ganz oder dann eben gar nicht.“ Und: So verheissungsvoll hoch die Anzahl der Studierenden an den Pädagogischen Hochschulen im Moment auch sein mag: Zu denken geben muss, dass viele Lehrkräfte – trotz Bachelor oder Master in der Tasche – den Bettel nach ihrem Studium schon früh wieder hinschmeissen. Zahlen, die vom Bundesamt für Statistik (BFS) 2010 und 2011 erhoben worden sind, sprechen eine deutliche Sprache: Fast 20 Prozent der Lehrkräfte steigen bereits im ersten Jahr wieder aus, nach fünf Jahren beträgt die “Ausfallquote” bereits knapp 50 Prozent. Ein breit abgestütztes Angebot für Weiterbildung soll helfen, Lehrkräfte länger im Beruf zu halten, wobei der Fokus hier womöglich (zu) oft auf fachliche Aspekte gelegt wird.
Markus hat entschieden, im Sommer 2016 einen weiteren Klassenzug der Oberstufe (drei Jahre) zu übernehmen – und seine Karriere als Sekundarlehrer zu verlängern. Er werde gewisse Dinge von Anfang an anders anpacken als noch bei seinem Berufseinstieg. Und er habe auch gelernt, eine gewisse Strenge an den Tag zu legen. Eine Karriere in einem Büro kommt für ihn, der einst eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, nicht infrage, „denn der tägliche Kontakt mit den mir anvertrauten Kids bringt auch viele schöne Momente mit sich“, glaubt der 31-Jährige, der seinem Job täglich mit Leidenschaft nachgeht. Ihm ist bewusst geworden, dass sich der Sprung ins kalte Wasser nicht ganz abfedern lässt. „Egal, ob ich jetzt einen Bachelor-Abschluss, Master-Titel, ein MBA, ein CAS oder was auch immer an Bildung respektive Weiterbildung mitbringe – entscheidend ist für mich nun, die gemachten Erfahrungen in die Planung des nächsten Klassenzuges einfliessen zu lassen.“ Und hilfreich sei – neben der stetigen internen- und externen Weiterbildung – auch ein gewisses Mass an Gelassenheit. „Lehrkräfte müssen echt und authentisch sein“, sagt auch Simon, denn so würden sie von den Schülerinnen und Schülern respektiert werden – und auch von den Eltern, die, aller Ausnahmen zum Trotz, grossmehrheitlich an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Institution Schule interessiert seien.
*Namen der Redaktion bekannt