Gepostet 24.08.2022, Othmar Bertolosi
Immer mehr junge Leute entscheiden sich nach dem Abschluss der obligatorischen Schule für das Gymnasium und ein Studium. So nimmt die Akademisierung in der Schweiz immer mehr zu. Auf der anderen Seite geniesst unser duales Bildungssystem bei den Berufslehren weltweit hohes Ansehen. Zu Recht: Die Lehre als Start ins Berufsleben bietet mindestens so gute Zukunftschancen wie das Gymnasium.
Lehre oder Studium – diese Frage scheidet die Geister und immer mehr junge Leute in der Schweiz entscheiden sich für das Studium. Ein akademischer Titel verspricht beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt, guten Lohn und – ein nicht zu unterschätzender Faktor – auch höheres Prestige.
Die Berufslehre ist aber keinesfalls nur zweite Wahl, im Gegenteil. Sie bietet grundsätzlich ebenso gute Aussichten wie das Gymnasium. Das belegt eine Studie der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung aus dem Jahr 2021. Zum Beispiel bei den Chancen auf dem Arbeitsmarkt: In den vergangenen 20 Jahren lag die Erwerbslosenquote bei den Lehrabgängerinnen / Lehrabgängern mit anschliessendem Hochschulabschluss um bis zu zwei Prozentpunkte tiefer als bei den reinen Hochschulabsolvierende. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Löhnen: Hochschulabgängerinnen bzw. Hochschulabgänger mit Berufslehre verdienen in den ersten Jahren nach dem Abschluss im Mittel deutlich mehr als Akademikerinnen bzw. Akademiker ohne Berufslehre. Dann werden die Differenzen geringer. Zwar sind diese Akademikerinnen bzw. Akademiker schliesslich öfters in den obersten Prozenten der Lohnverteilung zu finden, im Gegenzug aber auch öfter bei den Tieflöhnen als ihre Kolleginnen und Kollegen mit Berufslehre. Und schliesslich sind Hochschulabgängerinnen bzw. Hochschulabgänger mit Berufslehre öfter in Kaderpositionen anzutreffen.
Es gibt aber neben all diesen guten Gründen noch weitere, die für eine Berufslehre sprechen. Vor allem solche, die sie einzigartig machen: Im Gegensatz zum Gymnasium ist die Förderung von praktischer Intelligenz bei den Berufslehren ein zentrales Thema. Hier erwirbt man sich schon früh Skills, die Fähigkeit, Fachwissen auch praktisch anzuwenden. Ebenso werden in der Lehre betriebliche Arbeitsqualitäten wie Präzision, Verantwortung oder Termintreue vermittelt, die im Berufsleben hohe Bedeutung haben. Diese praktische Erfahrung müssen sich Hochschulabsolvierende ohne Berufslehre erst erarbeiten. Das ist auch eine Erklärung dafür, dass sie als Studienabgängerinnen / Studienabgänger deutlich weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen mit Berufslehre und sich oft erst einmal als Trainees durchschlagen müssen.
Während der Weg vom Gymnasium über die Matura an die Hochschule klar vorgegeben ist, stehen bei der Berufslehre für die höhere Bildung viele verschiedene Möglichkeiten offen. Es gibt aber einen wichtigen Schritt: «Die Berufsmaturität ist heute ein Muss, wenn man Karriere machen will» führt Philip Tobler, Produkteverantwortlicher BM2 an der Minerva, hinzu. «Mit der Berufsausbildung plus Berufsmaturität (s. Box unten) stehen alle Türen offen zu einer aussichtsreichen Berufskarriere oder dem prüfungsfreien Einstieg in eine Fachhochschule. Mit der zusätzlichen Passerelle (s. Box unten) kann man Zugang zu allen Schweizer Universitäten, der ETH oder den Pädagogischen Hochschulen erlangen. Die Berufsmaturität BM1 kann im Rahmen der Berufsausbildung erreicht werden. Der Weg über die Berufsmaturität BM2 richtet sich an Erwachsene, die bereits einen Beruf erlernt und ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis erworben haben.»
Wer ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis erworben hat, kann direkt höhere Fachschulen besuchen. Diese dauern je nach Bildungsgang zwei bis vier Jahre. Die Bildungsgänge sind vom Bund anerkannt und die entsprechenden Titel sind geschützt. Und: Sie ermöglichen den Einstieg in gleiche und fachverwandte Studienrichtungen der Fachhochschulen. Schliesslich gibt es noch als besondere Form der Zulassung an Bachelorstudiengänge von Fachhochschulen, d.h. Aufnahmeverfahren für Interessierte mit guter Vorbildung, aber ohne Berufsmaturität oder gymnasiale Matura. Fachhochschulen können entsprechende Aufnahmegesuche bewilligen. Dafür wird das Dossier geprüft und eine spezifischen Eignungsabklärung durchgeführt, allenfalls mit einer Aufnahmeprüfung ergänzt.
Die Berufsmaturität (BM) ist ein eidgenössisch anerkannter Abschluss, der Zugang zu Bildungsinstitutionen der Tertiärstufe, vor allem auch Fachhochschulen, gewährt. Die Ausbildung kann während (BM1) oder auch erst nach (BM2) dem Erlangen des eidgenössischen Fachausweises absolviert werden. In der Berufsmaturität gibt es fünf Ausrichtungen: Technik, Architektur und Life Siences; Natur, Landschaft und Lebensmittel; Wirtschaft und Dienstleistungen; Gestaltung und Kunst; Gesundheit und Soziales.
Die «Passerelle» ist eine Ergänzungsprüfung zur Berufsmaturität. Die bestandene Prüfung berechtigt zum Zugang zu allen schweizerischen universitären Hochschulen und zu allen Studienrichtungen. Sie ist in dieser Beziehung der gymnasialen Maturität ebenbürtig.