Gepostet 04.11.2015, Myriam Arnold
Eine der schnellsten Mountainbikerinnen der Welt spricht über ihre Erfahrungen bei der Schweizer Armee, ihren Plan B und verrät, was Sport und Weiterbildung gemeinsam haben. Ein Interview mit der Urnerin Linda Indergand.
Bildung-Schweiz.ch: Wie fühlt man sich als Eliminator Weltmeisterin 2015?
Linda Indergand: Eigentlich noch gleich wie davor. Doch ist es schön, Glückwünsche und Fanpost von überall her zu erhalten und auf der Strasse auf diesen Erfolg angesprochen zu werden. In sportlicher Sicht war der Sieg sicherlich ein Motivationsschub. Und ich bin natürlich stolz, in dieser Disziplin für das nächste Jahr das Weltmeister-Trikot tragen zu dürfen.
Für alle Nicht-Mountainbike-Kenner: Wie geht ein Eliminator-Rennen vonstatten?
Jede Fahrerin absolviert zuerst die kurze Rennstrecke alleine und die schnellsten 32 kommen weiter. Dann treten jeweils vier gegeneinander an, wobei nur die Erst- und Zweitplatzierte wiederum weiterkommen. Das solange bis nur noch vier Fahrerinnen übrig sind, die sich dann im Final messen.
Bei diesem WM-Rennen hast du erst auf der Zielgeraden bemerkt, dass du dich von deinen Mitstreiterinnen abgesetzt hast. Kannst du dich derart gut fokussieren?
An manchen Tagen klappt es besser, als an anderen. Am Eliminator-Rennen hatte ich einen Supertag. Ich war total konzentriert und habe nicht mitbekommen, was an meinem Hinterrad vor sich geht. Erst auf der Zielgeraden wurde mir zugerufen, dass ich Vorsprung hätte und so konnte ich einen Blick zurück riskieren, ohne Angst haben zu müssen, gerade in diesem Moment überholt zu werden.
Wie klappt es beim Lernen mit der Konzentration?
Da fällt es mir etwas schwerer, um ehrlich zu sein [lacht]. Wenn ich aber einen gewissen Prüfungsdruck spüre, dann kann ich mich schon zusammenreissen, mehrere Stunden hinsitzen und lernen.
Gewährst du uns einen Einblick in deine KV-Lehrzeit?
Klar doch. Ich habe ganz normal die Lehre bei der Gemeindeverwaltung Silenen begonnen. Der Lehrbetrieb wusste jedoch, dass ich ambitioniert Velo fahre. Als sich dann abgezeichnet hat, dass sportlich mehr drin liegt, bin ich mit meinem Lehrmeister zusammengesessen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich jeweils Überstunden mache, um sie am Mittwochnachmittag zu kompensieren. Diese Nachmittage habe ich dann zum Trainieren und Lernen genutzt.
Und wie hast du es mit der Berufsschule gehandhabt?
Ich durfte jeweils ein Gesuch um Dispensation stellt, wenn ein Wettkampf anstand. Die kaufmännische Berufsschule Uri war da sehr grosszügig. Aber natürlich mussten meine Noten stimmen. Bei ungenügenden Noten hätte ich nicht frei bekommen. Ich wusste, dass ich in der Schule Vollgas geben muss, um für den Wettkampf frei zu bekommen.
War dir diese Doppelbelastung nie zu viel?
Es gab Momente, wo es mir fast zu viel wurde. Aber ich glaube, dieses Tief kennt jeder Lehrling. Dank dem Sport weiss ich aber, wie wichtig es ist, in solchen Situationen abzuwarten und sich wieder zu motivieren. Was mir auch gelungen ist.
„Als einzige Frau hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut.“
Nach der Lehre hast du die Spitzensport-Rekrutenschule in Magglingen absolvieren. Wie muss man sich das vorstellen?
Die gesamte RS dauerte 18 Wochen. In den ersten fünf Wochen absolvierten wir die militärische Grundausbildung und lernten das militärische Grundhandwerk kennen. Dazu gehört zum Beispiel das Schiessen oder die Montur der Schutzkleidung. Während dieser Zeit hatten wir bereits Zeit, um jeweils am Nachmittag zu trainieren. Danach waren wir 13 Wochen in Magglingen und dort erhielten wir diverse Schulungen zum Umgang mit Medien oder zur Ernährung beispielsweise. Zudem wurden wir zu Militärsportleitern ausgebildet.
Dürfen alle guten Athleten die Spitzensport-RS absolvieren?
Nein, die Anforderungen sind sehr hoch. Man muss sich mit guten Resultaten für diese RS qualifizieren. Der Athlet muss dem Spitzensport zudem die erste Priorität in seinem Leben einräumen, die Swiss Olympic Card besitzen und sich hohe Ziele auf internationaler Ebene stecken und auch das Potential haben, diese zu erreichen.
Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Weg einzuschlagen?
Mein Bruder Reto erzählte mir davon und es klang nach einer riesigen Chance. Als ich dann hörte, dass meine Nationalmannschafts-Kolleginnen Kathrin Stirnemann und Jolanda Neff ebenfalls beabsichtigen, die RS zu machen, entschied ich mich auch dazu. Als einzige Frau hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut.
Die Absolvierung der Spitzensport-RS war also nicht dein Master-Plan, um dir ein Platz im Zeitmilitär-Spitzensport zu ergattern?
Nein, gar nicht. Meine ganze „Militär-Karriere“ war mehr Zufall. Im Zeitmilitär-Spitzensport gibt es insgesamt 18 50%-Stellen und für das Biken sind nur zwei Plätze vorgesehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Nino Schurter und Matthias Flückiger die Stellen inne und deshalb malte ich mir keine grossen Chancen aus. Während der RS gaben aber beide ihre Plätze frei und ich konnte zusammen mit Jolanda Neff glücklicherweise nachrücken.
Als Frau bei der Armee – da gibt es zahlreiche Klischees. Welches kriegst du zu hören und wie reagierst du darauf?
Ich bin gut weggekommen mit komischen Kommentaren. Klar, waren da die skeptischen Blicke, wenn ich in der Uniform oder dem Tarnanzug unterwegs war. Auch mein Umfeld war anfangs etwas erstaunt über meine Militär-Pläne. Dann erklärte ich ihnen meine Situation und die Vorteile, die mir die Anstellung bei der Armee bringt, und sie waren beeindruckt.
Was beinhaltet diese 50%-Anstellung als Zeitmilitär-Spitzensportlerin?
Die Anstellung durch die Schweizer Armee hat zum Ziel, uns 18 Athletinnen und Athleten zu unterstützen, dass wir einen Diplom- oder Medaillenplatz an den Olympischen Spielen erreichen. Da wir dank diesem 50%-Pensum ein kleines Einkommen erhalten, bleibt uns mehr Zeit zum Trainieren und uns auf unsere Ziele zu fokussieren. Zudem übernehmen wir repräsentative Aufgaben, vertreten die Armee als unseren Arbeitgeber regelmässig in der Öffentlichkeit und absolvieren die Wiederholungskurse.
Dein Traum ist, vom Mountainbiken zu leben, den du ja bereits erfüllt hast, oder?
Ich kann vom Mountainbiken leben, ja, aber nur weil ich noch zu Hause wohne und meine Eltern mich unterstützen. Es ist nicht so, dass ich im Überfluss leben würde.
Lebenslanges Lernen ist allgegenwärtig. Wie trägst du diesem Trend Rechnung?
Ich habe eine Ausbildung zur Sport- und Präventionstherapeutin bei der Dickerhof AG angefangen, da ich festgestellt habe, dass wenn ich immer nur trainiere, mir die Abwechslung und die geistige Herausforderung fehlen.
„Der modulare Aufbau dieser Ausbildung erlaubt es mir aber, die Ausbildung nach der mir zur Verfügung stehenden Zeit zu gestalten.“
Wie gestaltet sich die Ausbildung zur Therapeutin?
Die Theoriemodule habe ich erfolgreich beendet. Nun stehen die praktischen Module an, die etwas schwieriger zu organisieren sein werden, da ich viel unterwegs bin. Theorie kann ich im Bus oder im Hotelzimmer lernen. Für praktische Anwendungen und Techniken muss ich vor Ort sein. Der modulare Aufbau dieser Ausbildung erlaubt es mir aber, die Ausbildung nach der mir zur Verfügung stehenden Zeit zu gestalten.
Wie sieht dein Plan B aus?
Falls es mit der Spitzensportkarriere nicht klappen sollte, erhoffe ich mir durch die Ausbildung in Sport- und Präventionstherapie, im Sport-Business bleiben zu können. Ausserdem habe ich mit der kaufmännischen Berufsausbildung ein solides Fundament und mit der Berufsmatura die Option, ein Studium zu beginnen.
Du trainierst 8 bis 21 Stunden pro Woche. Bleibt da Zeit für Spontanität?
Nicht immer gleich viel. Ende Saison oder im Winter kann ich schon mal kurzfristig verreisen oder spontan mit Freundinnen abmachen. Im Sommer hat das Training und die Erholung aber ganz klar erste Priorität.
Was unternimmt denn eine spontane Linda Indergand?
[lacht] Letztes Mal war ich zum ersten Mal mit meinem Götti klettern. Auch Eishockey-Spiele besuche ich gerne. Vor allem für Ambri Piotta schlägt mein Herz.
Im Juli am Heimweltcup hattest du einen Defekt, der dich im Rennen zurückwarf. Wie gehst du mit Rückschlägen um?
Wenn ich den Rückschlag bemerke, versuche ich, ihn schnell wegzustecken, zu vergessen und mich wieder zu fokussieren. Wenn dann aber der Wurm drin ist und es einfach nicht klappen will, kann es mich schon sehr nerven. Aber ich bin mir sicher, dass Wettkämpfe gerade deswegen so aufregend sind, weil sich Rückschläge und tolle Momente wie Siege abwechseln. Man weiss nie, was kommt. Das ist Sport und deshalb liebe ich ihn.
Inwiefern ähneln sich sportliche und berufliche Rückschläge?
Sie gehören einfach dazu. Ich habe aber sowohl im Sport als auch in der Lehre gelernt, über Schwierigkeiten, wenn sie auch noch so klein sind, zu reden. Das ist wichtig. Sie totzuschweigen, bringt keine Verbesserung.
Muhammed Ali sagte einmal, dass ein wahrer Champion Talent und vor allem Wille hat. Was sagst du dazu?
Dieses Zitat würde ich sofort unterschreiben. In tieferen Kategorien ist Talent noch wichtiger, aber ab einem gewissen Niveau braucht es Biss, hart trainieren zu wollen, und Siegeswille. Auch Disziplin in Sachen Erholung und Ernährung spielt eine wichtige Rolle.
Gilt dieses Zitat auch für die berufliche Karriere?
Auf jeden Fall. Der Sport und die berufliche Tätigkeit oder Weiterbildung weisen tatsächlich viele Parallelen auf, denn in beiden Bereichen versucht man, über sich hinauszuwachsen und den inneren Schweinehund zu überwinden, um letzten endlich besser zu werden als die anderen.