Gepostet 10.05.2023, Martina Tresch
Prüfungsangst ist weitverbreitet. Der falsche Weg ist es, sie hinzunehmen. Ein Profi verrät, was es mit dieser Angst auf sich hat, und gibt Ratschläge.
Eigentlich sind es nur zusammengeheftete Blätter mit Aufgaben. Es ist nur eine Prüfung. Doch das Herz schlägt schnell, die Hand zittert, gleichzeitig macht sich der wenige Schlaf der letzten Nächte bemerkbar. Und schon schlägt sie zu, mit voller Wucht: eine Blockade. Nichts geht mehr. Es ist Prüfungsangst, an der so manch ein Schulkind aber auch viele Erwachsene leiden. «Als Jugendliche habe ich mich sehr viel stärker vor Prüfungen gefürchtet als jetzt», erzählt Irene Ziegler. Doch auch heute spürt die 22-Jährige eine grössere Nervosität vor den Prüfungen an der Pädagogischen Hochschule. «Insbesondere dann, wenn es um Fächer geht, die mir nicht so sehr liegen.» Die angehende Lehrerin befindet sich in einem Umfeld, in dem Prüfungsangst fast allgegenwärtig ist.
«Ich kenne einige, die vor Prüfungen nicht mehr ansprechbar sind und panisch werden. Es gibt auch Mitstudentinnen, denen es regelrecht übel wird, wenn wir vor dem Prüfungsraum warten müssen.»
In solchen Situationen ist sie froh, dass die Prüfungsangst sie nicht derart lähmt wie andere.
Sie lähmt und hält einen im schlimmsten Fall vom Traumjob ab. Betroffen sind viele, weiss Doris Sager, Coach und Supervisorin BSO sowie Kursleiterin mit über 20 Jahren Erfahrung auf ihrem Gebiet. Zwar könne eine leichte Anspannung sinnvoll sein, um das volle Leistungspotenzial abrufen zu können und zu Höchstform zu gelangen. «Wenn jedoch das zu beweisende Wissen nicht ganz verinnerlicht ist, wenn es also tatsächliche Lücken im Wissen gibt, wird der Stress ausschliesslich negativ empfunden, was eine kognitive Blockade bewirkt. Anteile des Wissens, welche vorhanden wären, können in diesem Fall nicht mehr abgerufen werden.» Schweissausbrüche oder Zitteranfälle, kognitive Blockaden, der Drang zur Flucht und Schlafstörungen sind verbreitete Symptome. Oft, erklärt Doris Sager weiter, kommt auch ein negativ geprägtes Gedankenkarussell dazu: «Ich schaffe das nicht. Ich bin nicht gut genug» – solche und ähnliche Gedanken schiessen mehr und weniger bewusst durch Kopf und Körper. «Die Stress-Symptome übernehmen die Führung des Körpers und bringen die Person mehr und mehr in einen Teufelskreis, der sich bis zur Phobie aufbäumen kann.»
Bei Irene Ziegler zeigte sich dieser Stress vor Prüfungen vor allem nachts: «Ich konnte nicht wirklich schlafen und versuchte, den wachen Zustand noch einmal zum Lernen zu nutzen. Ich musste dann allerdings aufgeben, weil ich nichts mehr in meinen Kopf bekam.» Also begann sie, eine Strategie zu entwickeln, indem sie ein Buch las oder sich anderweitig ablenkte. Wer aus eigener Kraft die Prüfungsangst nicht in den Griff bekommt, sollte frühzeitig handeln und sich helfen lassen. Denn, wie Doris Sager festhält: «Je früher wir uns einer Prüfungsangst stellen, desto einfacher ist es, sie in sinnvolle und nutzbringende Bahnen zu lenken.» Bei ersten Anzeichen sei die Reflexion des Themas unter Beizug eines Coachs sinnvoll. Wenn sich eine Prüfungsangst aber handfest manifestiert hat, werde von einer Phobie oder einem Trauma gesprochen. «Die Zusammenarbeit mit sehr erfahrenen Coachs oder mit spezifischen Trauma-Therapeutinnen und -Therapeuten ist in diesem Fall angezeigt.»
Mittlerweile gibt es Seminare und Kursangebote, die entweder dabei helfen, die Angst zu überwinden oder auch solche, die Coaches entsprechend ausbilden. «Für Betroffene können es kurze Seminare sein, welche auf die Entwicklung persönlicher Strategien gegen die Prüfungsangst ausgelegt sind. Eine Teilnahme an einem solchen Kurs hat den Vorteil, dass die betroffene Person erkennt, dass sie mit ihrer Angst nicht alleine ist», sagt Doris Sager, die bei der Lernwerkstatt Olten (LWO) als Fachverantwortliche und Kursleiter/in in Coaching-Lehrgängen tätig sowie Inhaberin von Coaching-place GmbH ist. Ganz aktuell hat die LWO nebst vielen anderen Angeboten ein neues Webinar zum Thema Prüfungsangst lanciert.
Während ihres Studiums hat Irene Ziegler für sich Strategien entwickelt: «Ich lerne möglichst häufig, aber in kurzen Sequenzen. Dann, am Abend vor der Prüfung, lasse ich es sein. Ich unternehme etwas mit Freunden, lese oder gehe nach draussen.» Am Prüfungstag erscheint sie nicht zu früh, um so wenig wie möglich mit Mitstudierenden zu sprechen. Andere in ihrem Studiengang zum Beispiel würden auf Beruhigungstropfen schwören. Und was rät die Expertin? «Sinnvoll ist es, sich frühzeitig mit der Prüfungsangst auseinanderzusetzen. Wenn die Prüfung noch in weiter Ferne steht, triggert die Angst meist noch nicht zu stark.» Dann gelte es, den Auslöser der Prüfungsangst zu finden: «Machen Sie sich Ihre Gedankengänge und das Eigenleben Ihrer Emotionen bewusst.» Schliesslich sei es wichtig, für sich ein Ziel zu setzen und sich eine erfolgreiche Prüfungssituation vorzustellen. «Verankern Sie diese Erinnerung sowie Ihre unterstützende Überzeugung. Trainieren Sie sich diese Zuversicht mittels Repetition der mentalen Gedankenmuster an, ähnlich wie Sie einen Muskel mit Sport trainieren.» Ein Coach kann solche Techniken zeigen und wirkt unterstützend – damit die Angst vor Prüfungen irgendwann Geschichte ist.