Gepostet 27.09.2016, Elisa Hipp
Der Begriff Superfood ist in aller Munde. Doch was steckt hinter Goji-Beere, Chiasamen und Co.? Ein Gespräch mit einer Ernährungsberaterin über den Nutzen, aber auch die Gefahren von Superfood – und über Nahrung, die beim Lernen helfen kann.
Die Açaí-Beere gehört dazu, Algen, Chiasamen, die Goji-Beere, oder – um heimischere Pflanzen zu nennen – Heidelbeeren, Leinsamen, Holunder und Walnüsse. Sie sind Superfood. Der Werbung von Lebensmittel- oder Kosmetikunternehmen nach machen sie wahlweise schlank, fit oder gesund. Oder alles davon. Sucht man die Pflanzen bei Google springen einen Überschriften an wie „Das kann die Açaí-Beere wirklich“ und „Was ist dran an der Noni-Frucht?“
Genau das haben wir uns auch gefragt: Was ist dran an Superfood? Was sind Gefahren und Nutzen davon? Und: Gibt es Superfood, das zum Beispiel beim Lernen unterstützt? Wir haben darüber mit Sabine Clever gesprochen. Die diplomierte Ernährungsberaterin HF SVDE gibt bei der Migros Klubschule Kurse zum Thema „Superfood – Was verbirgt sich wirklich dahinter“.
Wie lässt sich Superfood definieren? „Im Allgemeinen sind es Lebensmittel mit besonderer Nährstoffdichte, denen ‚heilsame Wirkungen‘, positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden, nachgesagt werden“, antwortet Sabine Clever. Doch, sagt sie: „Trotz der Allgegenwart in den Medien gibt es keine offizielle oder rechtlich bindende Definition für den Begriff Superfood.“
„Trotz der Allgegenwart in den Medien gibt es keine offizielle oder rechtlich bindende Definition für den Begriff Superfood.“
Der Begriff Superfood ist schon ein paar Jahre alt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde er geprägt, so Sabine Clever. Er entstand in den USA in Zusammenhang mit moderner, gesundheitsbewusster Ernährungsweise. Vor allem Veganer und Rohköstler nutzten ihn. Populär wurde der Begriff in der Allgemeinsprache erst in jüngster Zeit.
Doch ohne Kritik bleibt Superfood nicht – berechtigt. PR-Profis nutzen den Begriff. „Wie PR-Profis Grünzeug zum Superfood machen“, titelte zum Beispiel die Handelszeitung. Und sie zählte auf, wie „Kale“ – zu Deutsch Federkohl – vom vergessenen Omagemüse zum Lieblingsinhalt von Promi-Rezepten wurde. Wie sich der Import des Gemüses in der Schweiz sage und schreibe verneunfachte. Wie Lebensmittelunternehmen viel Gewinn mit dem besonderen Lebensmittel machten. Der Weg dazu: Stars posten Bilder mit Smoothies bei Instagram. Sängerin Beyonce tanzt hyperaktiv, eindeutig super fit und mit Top-Figur in einem Shirt mit der Aufschrift „Kale“ in einem Videoclip. Starbucks nimmt einen Smoothie ins Sortiment auf. Tönt einfach – war eine grosse Gewinnmaschine.
Auch Sabine Clever findet, die Kritik an Superfood ist oft berechtigt. Berichte über verschiedenes Superfood geben meist vor, die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse widerzuspiegeln, sagt sie. „Doch die genannten Studien stellen lediglich eine Auswahl aus den vielen Forschungsarbeiten dar, die die Eigenschaften von Nahrungsmitteln und deren Wirkung auf die Gesundheit untersuchen.“ Das bedeutet: In der Praxis anwendbar sind solche Studien oft nicht.
Die Nahrungsmittel werden im Labor untersucht – unter Bedingungen, wie sie Menschen im Alltag gar nicht schaffen können. „Ein wesentliches Forschungsmerkmal ist, dass tendenziell sehr grosse Mengen an Nährstoffen verwendet werden“, so die Expertin. Von manchem Superfood müsste man sehr häufig essen, damit ein gesundheitlicher Nutzen entsteht. Denn die physiologische Wirkung vieler dieser Nahrungsmittel hält nur für einen kurzen Zeitraum an. Doch viel – das ist bei manchen dieser Lebensmittel einfach zu viel. Kontraproduktiv sogar.
„Es ist unrealistisch, zu erwarten, dass eine kleine Angebotspalette von sogenannten Superfoods unser Wohlbefinden signifikant steigert.“
Studien nutzen zudem oft Tiere wie Ratten oder sogenannte In-Vitro-Experimente mit isolierten Kulturen menschlicher Zellen. Ob die Bestandteile beim Menschen nach dem Verzehr dieselbe Wirkung haben? Da besteht keine Garantie. Und noch eins, so die Expertin: Viele Forscher untersuchen die Nahrungsmittel isoliert voneinander. Der Mensch jedoch isst sie in der Regel in Kombination, also Kale mit Olivenöl oder Heidelbeeren mit Sahne. Die Forschungsergebnisse spiegeln also nicht den realen menschlichen Verzehr wider.
„Es ist unrealistisch, zu erwarten, dass eine kleine Angebotspalette von sogenannten Superfoods unser Wohlbefinden signifikant steigert“, sagt Sabine Clever. Und auch wenn Kakao in Form von Schokolade zum Beispiel gesundheitsfördernde Flavonoide bringt – in der Schokolade stecken halt auch immer noch Fett und Zucker.
Chiasamen kommen ursprünglich aus Mexiko und sind der Werbung nach die „Heilsamen der Maya“. Sie enthalten viele Omega-3-Fettsäuren, Proteine, Antioxidantien und Mineralstoffe.
Chlorella sind Süsswasseralgen, die entgiftend wirken sollen und besonders viel Chlorophyll enthalten.
Die Açaí-Beere soll beim Abnehmen und Anti-Aging helfen. Sie stammt von einer südamerikanischen Palmenart.
Die Goji-Beere kommt vom Bocksdornstrauch. Sie enthält der Werbung nach alle lebenswichtigen Nähr- und Vitalstoffe. Sie ist in China und der Mongolei beheimatet.
Leinsamen sind die Samen des Flachses. Sie enthalten Schleimstoffe, die im Darm aufquellen und dadurch die Verdauung anregen.
Was also tun? Wie kann man sich ausgewogen ernähren? Sich auf eine Handvoll angeblicher Superfoods zu konzentrieren – das bringt nichts. „Wir müssen uns vielfältiger ernähren“, sagt Sabine Clever. Auch andere Lebensmittel, die nicht „super“ sind, haben durchaus viele wertvolle Inhaltsstoffe. Meist genauso viele wie die Superfoods sogar. Doch die Lebensmittel mit den besonderen Inhaltsstoffen haben auch positive Seiten, sagt Sabine Clever. „Sie bringen neue, spannende Zutaten in die Küche und mit Blick auf Herkunft, Qualität und Frische ist Superfood eine gute Ergänzung, allerdings teuer im Vergleich zu unseren heimischen Nahrungsmitteln.“
Auch wenn es viel Kritik gibt – positive Auswirkungen können die Inhaltsstoffe von Superfood durchaus haben. Zum Beispiel, um sich beim Lernen besser konzentrieren zu können, so die Ernährungsberaterin. Was da hilft? Fettreiches „Food“ wie Chiasamen, Avocado oder fetter Fisch zum Beispiel. Oder solche mit anregenden Inhaltstoffen – wie Antioxidantien, Omega 3-Fettsäuren und Alkaloide. Die stecken zum Beispiel in Ginkgo, Matcha oder Grüntee. „Ernährungstechnisch würde man einfach leichte – nicht verdauungsbelastende, ausgewogen- vitalstoffreiche Mahlzeiten empfehlen“, sagt Sabine Clever. Aber natürlich gilt auch hier: Auch in normalen Lebensmitteln stecken die hilfreichen Inhaltsstoffe. Und eine gesunde, ausgewogene Ernährung bildet die Basis. Superfood kann aber gut als Ergänzung gegessen werden.
Viele Menschen ernähren sich heute nach bestimmten, meist selbst auferlegten Regeln. Wie sind sie zu unterscheiden?
Vegetarier essen in der Regel weder Fleisch noch Fisch. Einige verzichten jedoch nur auf Fleisch.
Veganer verzichten komplett auf tierische Produkte von Fleisch über Käse, Eier und Butter bis Honig.
Rohköstler ernähren sich von unerhitzten oder sogar gänzlich unbearbeiteten Nahrungsmitteln.
Traditionell chinesische Medizin (TCM) ist eigentlich eine ganzheitliche Heilkunde, aufs Essen übertragen bezeichnet sie aber die Ernährung nach den fünf Elementen (Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser). Unter anderem werden Lebensmittel den Elementen zugeteilt, danach wird dann gekocht beziehungweise gegessen.
Sabine Clever ist selbstständig tätig und hat eine Praxis in Frick (Aargau). Dazu arbeitet sie als Ernährungsberaterin in der Klinik Schützen und als Lehrkraft für Ernährung bei der Migros Klubschule in den Ernährungscoach- und Fitnessinstruktor-Lehrgängen. Dort bietet sie auch Weiterbildungen an zum Beispiel zum Thema Superfood, Nahrungsergänzungsmittel und Vegetarismus.