Gepostet 08.01.2020, Ronny Arnold
Die meistgewählte Berufsbildung in der Schweiz wird momentan fit für die Zukunft gemacht. Ein Artikel des Tages-Anzeigers zum Projekt «Kaufleute 2022» deutet auf einen radikalen Umbau hin.
Die Digitalisierung hat weitreichende Folgen: Routineaufgaben werden ausgelagert oder automatisiert und gewisse Tätigkeiten, die bisher Menschen ausführten, wird es irgendwann wohl gar nicht mehr geben. Gemäss Experten gehört der kaufmännische Bereich zu denen Branchen, welche sich durch die Digitalisierung am stärksten verändern werden. Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner, welche die Konferenz der Schweizer Erziehungsdirektoren präsidiert, befürchtete in der NZZ vom 14.09.2018 gar, dass das heutige Berufsbild KV in zehn Jahren nicht mehr existieren wird. Die Folgen wären fatal, ist die KV-Lehre doch die beliebteste Lehre der Schweizer Jugendlichen. Allein 2018 starteten über 13'000 Personen die Ausbildung. Weit weniger pessimistisch sieht es in der gleichen Ausgabe der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbandes: Die kaufmännische Lehre biete «exzellente Zukunftsperspektiven», hielt er fest, vorausgesetzt, man bilde sich kontinuierlich weiter. «Eine reine Berufslehre», so Jositsch damals, «reiche längerfristig nicht mehr und führt eher zu Gefährdung durch Stellenverlust.»
Die Verantwortung für die Qualität und Entwicklung der kaufmännischen Lehre liegt bei der Schweizerischen Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen, kurz SKKAB. Damit die KV-Lehre attraktiv und marktorientiert bleibt, wurde das Projekt «Kaufleute 2020» ins Leben gerufen. Gefragt ist nicht mehr in erster Linie Fachkompetenz. Viel wichtiger sind Skills wie «selbständiges Arbeiten», «Sozialkompetenz» oder «die Fähigkeit sich zu vernetzen und vernetzt zu denken». Bisher bekannt ist, dass die KV-Lehre nicht mehr die drei Profile Basisausbildung (B), Grundausbildung (E) und Berufsmatura (M) haben wird. Die ersten zwei Profile werden zusammengeführt, das M-Profil bleibt bestehen. Doch der Umbau ist noch radikaler als bisher erwartet.
«Neue Skills statt Fachkompetenz im Vordergrund»
Gemäss Recherchen des Tages-Anzeiger vom 06.01.2020 sollen beispielweise Pflichtfächer wie «Finanz- und Rechnungswesen» zur Option werden. Auch in den Fremdsprachen sollen die beiden Pflichtfächer Französisch und English zu Wahlpflichtfächern werden. Lehrer befürchten gegenüber der Zeitung, dass Französisch so kaum mehr gewählt würde. Auch soll die Wirtschaft mehr Mitspracherecht erhalten. Konkret wird erwogen, dass Lehrbetriebe die Wahlpflichtfächer ihrer Lehrlinge bestimmen können.
Weiter sollen sich die Unterrichtsformen ändern. Ein Muster diesbezüglich liefert der Pilotversuch an der Wirtschafts- und Kaderschule in Bern (WKS). Seit 2018 läuft dort ein Projekt unter dem Namen «begleitetes selbst organisiertes Lernen». Statt bisher 45 Minuten im Frontalunterricht liefern die Lehrpersonen verteilt über den Tag kurze 20-Minuten-Inputs. Davor und danach lernen die Lernenden selbständig und in Lerngruppen. Ungewöhnlich die Räumlichkeiten: Statt Klassenzimmer-Feeling neu Co-Working-Space: loungeartige Sitzecke und gemusterte Teppiche. «Die Teenager sitzen an Laptops – wie junge Unternehmer im Hipster-Café», führt der Tages-Anzeiger weiter aus. Im Artikel verweist Peter Kaeser, Vizedirekter der WKS auf die Vorteile dieser neuen Formen: «Die Lehrbetriebe schätzen die Lernenden der Pilotklassen als markant selbständiger ein.» Auch ist er der Meinung, dass man nicht früh genug mit der Förderung von Selbständigkeit anfangen kann. Weniger positiv sieht es ein Zürcher KV-Lehrer. Er befürchtet, dass Schülerinnen und Schüler mit der Selbständigkeit überfordert sein könnten. «Sie müssen regelrecht zum selbständigen Arbeiten gepusht werden.»
Wie genau die Reform am Schluss aussehen wird ist noch unklar. Sicher ist, dass sich die Anforderungen an kaufmännische Angestellte verändert haben. Eine Anpassung der Lehre wohl unumgänglich. Über die Radikalität der Veränderungen und die Form der neugestalteten Ausbildung wird es in Zukunft wohl noch weiter viele Diskussionen geben.
Quellen für diesen Artikel:
Tages-Anzeiger Artikel «Grossumbau der KV-Lehre»
NZZ Artikel «Frischzellenkur für die KV-Lehre»