Gepostet 18.03.2023, Anna Epp
Zwei Quereinsteigerinnen sprechen über ihre Motivation, Erfahrungen und den Lehrpersonenmangel. Zudem haben wir mit zwei Pädagogischen Hochschulen gesprochen.
«Mir hat es schon immer gefallen, anderen etwas zu zeigen oder zu erklären. Meine geduldige Art kommt mir dabei oft zugute», berichtet Luisa*, die seit eineinhalb Jahren als Primarlehrerin tätig ist. Inspiriert für den Lehrberuf wurde sie durch ihre Lehrpersonen in ihrer KV-Lehre. Auch heute würde die 26-Jährige wieder den gleichen Ausbildungsweg wählen: «Neben dem fachlichen Wissen, das ich mir erarbeiten konnte, bin ich in dieser Zeit vor allem reifer geworden.» Während ihrer Ausbildung hat sie schon früh gelernt, mit erwachsenen Personen zusammenzuarbeiten und was es heisst, mit Kundinnen und Kunden in Kontakt zu stehen. Auch mit telefonischen Reklamationen und teilweise unfreundlichen Kundinnen und Kunden musste sie sich bereits in ihrer Lehrzeit auseinandersetzen. Rückblickend betrachtet glaubt Luisa, dass sie aus solchen Situationen viel lernen konnte. Auch wenn einmal die Eltern eines Kindes aufgebracht reagieren, bringen sie solche Situationen heute nicht gleich aus der Ruhe. Im Studium war Luisa mit einigen Quereinsteigenden (bspw. mit einer Drogistin und einem Mediamatiker) in der Klasse. Die in diesen Personen steckende Motivation hat sie besonders positiv empfunden und findet folgende Erklärung dafür: «Wir hatten ja alle schon einen Beruf bzw. eine Ausbildung und hätten einfach dort weiterarbeiten können. Doch wir haben uns alle längerfristig mit dem Thema auseinandergesetzt und uns bewusst nochmals für eine Ausbildung entschieden.»
«Lehrperson zu sein, ist viel mehr als einfach nur ein Job, den es zu erledigen gibt: Man begibt sich jeden Tag vor eine Gruppe von Kindern, die darauf warten, etwas zu lernen, zu erfahren oder Spannendes zu machen», erzählt Luisa. Dass hierzu ein gewisser Elan notwendig ist, liegt auf der Hand. Den Lehrpersonenmangel durch Personen ohne Diplom zu überbrücken, sehe sie deshalb auf lange Sicht fraglich. Dabei müsse man aber auch unterscheiden, mit welchem Hintergrund eine Person ohne Diplom arbeitet: «Werden angehende Lehrpersonen, sprich PH-Studierende dafür eingesetzt, die sowieso diesen Beruf ausüben wollen, finde ich die Idee gut. Andere Beweggründe ausser, dass man sowieso Lehrperson werden will, finde ich eher fraglich.» Sie glaubt, dass der Lehrberuf oftmals unterschätzt werde. «Lehrpersonen müssen nicht nur von 8:00 bis 15:00 Uhr vor der Klasse stehen (und dabei noch gut unterrichten). Die Unterrichtsvorbereitungen, Korrekturarbeiten, der Elternkontakt, die Schulhaussitzungen und Besprechungen im Team - das sind alles Dinge, die es vor und nach dem Unterricht bzw. in den Schulferien zu erledigen gilt.» Auch wenn Luisa ihren Traumjob gefunden hat, sieht sie Potenzial, den Lehrberuf attraktiver zu gestalten, besonders in Zeiten des Lehrpersonenmangels:
«Es gibt immer mehr Vorgaben, mehr Druck von aussen. Als Lehrperson nimmst du enorm viel Verantwortung wahr, und du beeinflusst massgeblich die Weiterentwicklung von vielen Kindern und die daraus resultierenden Zukunftsaussichten.»
Auch Anja Hofstetter sieht Verbesserungspotenzial bei den Arbeitsbedingungen, um mehr Personen zu einem Quereinstieg zu bewegen: «Es ist ein unglaublich diverses Aufgabengebiet mit hohen Anforderungen, die es schwierig machen, auf allen Ebenen alles abdecken zu können und den Spass an der Arbeit nicht zu verlieren.» Der Quereinstieg in den Lehrberuf steht der ehemaligen Leiterin Marketing und Bewirtschaftung noch bevor. Sie wünscht sich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: «Nach der Geburt meiner beiden Kinder kam das Thema auf, dass ich gerne zwar weiterarbeiten, aber auch gerne mehr Zeit für meine Kinder haben möchte.» Die sinnvolle Tätigkeit, die im Lehrberuf steckt, spornt sie besonders an, die Ausbildung zu starten. «Ich arbeite sehr gerne mit Personen und habe oft auch Junge geführt und ausgebildet. Die grösste Herausforderung wird sein, auf zirka 20 Schülerinnen und Schüler genug individuell eingehen zu können.» Dabei wird ihr die bisherige Lebenserfahrung helfen, ist Anja Hofstetter überzeugt:
«Ganz sicher wird die bereits gesammelte Lebenserfahrung wertvoll sein, gelassener und auch mit einem anderen Blickwinkel zu unterrichten. Für die Schülerinnen und Schüler kann ich vermutlich viel mehr Praxisrelevanz herstellen und sie hoffentlich auch gezielter in der Berufswahl unterstützen.»
Auch bei der Zusammenarbeit mit den Eltern ist sich Anja Hofstetter sicher, wird ihr ihre Erfahrung helfen.
Prof. Dr. Nicolas Robin, Prorektor Ausbildung an der PH St. Gallen, sieht dies ähnlich: «Die Kenntnisse und Erfahrungen aus dem vorangehenden Berufsleben sind wertvoll für den Lehrberuf. Quereinsteigende können damit zusätzliche Sensibilitäten in die Gestaltung der Lernprozesse der Kinder einbringen. Zudem verfügen sie über eine andere Sichtweise auf die Gesellschaft und ihre Herausforderungen, welche eine Bereicherung für die Lehrerteams und für die Schülerinnen und Schülern ist.» Weiter sagt Prof. Dr. Nicolas Robin: «Studiengänge für Quereinsteigende sind unter Berücksichtigung der notwendigen Qualitätsansprüche eine gute Massnahme gegen den Mangel an Lehrpersonen. Es muss darauf geachtet werden, dass auch Quereinsteigende ein vollwertiges Studium absolvieren.» Diese Forderung unterstützt auch der Prorektor Ausbildung an der PH Luzern, Prof. Dr. Reinhard Hölzl, denn: «Die Chancen für eine erfolgreiche und längerfristige Berufsausübung sind eng an die Qualität der Ausbildung und die damit erworbenen Professionskompetenzen geknüpft». Die PH Luzern informiert deshalb offensiv über ihre verschiedenen Studienangebote und Studienprogramme. Insbesondere macht sie auf ihrer Website auf die verschiedenen Möglichkeiten des Quereinstiegs aufmerksam.
Anja Hofstetter nimmt das bestehende Studienangebot zur Lehrerin als breit wahr, wünscht sich aber dennoch Erweiterungen: «Es gibt sehr viele Angebote, jedoch sehr divers und von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich. Ich würde mir wünschen, dass es für Quereinsteigende mehr Programme gäbe, wo man direkt arbeiten und sich das notwendige fehlende Wissen (Didaktik, Pädagogik etc.) parallel erarbeiten kann. Wenn man schon mal gearbeitet hat und danach praktisch nichts mehr verdient, ist das ein grosser (für viele auch ein zu grosser) Schritt.» Zudem würde sie sich mehr digitale Angebote wünschen: «Meistens stehen Quereinsteigende schon mitten im Leben mit Familie und so, da wären respektive sind digitale Sequenzen hilfreich.»
Um möglichst viele qualifizierte Lehrpersonen ausbilden zu können, ist die Flexibilisierung der Studiengänge bei beiden Pädagogischen Hochschulen ein zentrales Thema. «Die PH St. Gallen bietet bereits jetzt verschiedene Studienangebote an, die dazu beitragen, den Lehrpersonenmangel zu reduzieren», berichtet Prof. Dr. Nicolas Robin. Dazu gehören neben dem familien- und berufsbegleitenden Studiengang und dem Teilzeitstudiengang auch berufsintegrierte Studiengänge. Letztere ermöglichen es, bereits ab dem 3. oder 4. Studienjahr Teilzeit zu unterrichten. «Die Einführung eines Studiengangs zur Lehrperson der Kindergarten- und Primarstufe für Quereinsteigende ist an der PH St. Gallen in Planung. Dieses neue Programm wird ab dem Herbstsemester 2024 angeboten.» Auch die PH Luzern reagiert auf die sich ändernden Ansprüche und möchte das Studienangebot für Quereinsteigende weiter attraktivieren: «Die Flexibilisierung der Studienstrukturen ist ein Entwicklungsschwerpunkt, den die Ausbildung an der PH Luzern in den kommenden Jahren verfolgen wird», berichtet Prof. Dr. Reinhard Hölzl. «Zudem ermöglichen wir auch jetzt schon Studierenden durch individuelle Stundenplananpassungen, dass sie unter bestimmten Bedingungen einer Unterrichtstätigkeit nachgehen können, ohne die Studienzeit verlängern zu müssen.»
* Name der Redaktion der bekannt